Die Welt: 'Hilferuf – Katalonien fürchtet Einmarsch Madrids' #NewEuropeanStates #usa #eu #politics #news

Kataloniens Separatisten hatten diese Woche ihren großen Auftritt in
Brüssel. In einem Schreiben an Viviane Reding, die Justizkommissarin
der Europäischen Union (EU), beklagten sie "militärische Drohungen"
und den als aggressiv empfundenen Tonfall der Madrider
Zentralregierung.

Die Autoren, die Generalsekretärin der sozialistischen Fraktion im
EU-Parlament Maria Badia, ein katalanischer Nationalist und zwei Grüne
hatten damit auf das Säbelrasseln des spanischen Militärverbandes
reagiert. Dessen Vorsitzender Leopoldo Muñoz Sánchez hatte unumwunden
die Ausrufung des Kriegsrechts gefordert, falls die Katalanen aus dem
spanischen Staat ausscheren.

Sekundiert wurde Muñoz vom Vizepräsidenten des EU-Parlaments
Alejo-Vidal Quadras. Sollte sich der Regierungschef von Katalonien
über die Verfassung hinwegsetzen, hätte die Zentralregierung in Madrid
"sehr zu ihrem Bedauern" keine andere Wahl, als die territoriale
Integrität zu garantieren.

Das seien die Argumente vergangener faschistischer Epochen, befanden
die vier Parlamentarier aus Katalonien und schalteten die EU ein. Der
Konflikt müsse mit friedlichen und demokratischen Mitteln gelöst
werden, hieß es weiter, dafür sei niemand besser geeignet als die EU,
die gerade den Friedensnobelpreis erhalten hatte.

Aufregung in Madrid

Auf der Iberischen Halbinsel schlug das Schreiben ein wie eine Bombe.
Es wurde just am Mittwochabend veröffentlicht, als halb Spanien das
Duell zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund verfolgte. Zu diesem
Zeitpunkt hatten die Sozialisten schon Konsequenzen gezogen und ihr
Parteimitglied Badia zum Rücktritt vom Fraktionsvorsitz gezwungen.
"Ich glaube immer noch an das, was ich unterzeichnet habe", so Badia.
Ihren Sitz im EU-Parlament behält die Politikerin vorerst.

Die Debatte um die Unabhängigkeit Kataloniens wird von Tag zu Tag
emotionaler geführt, so dass im Ausland vielfach der Eindruck
entsteht, Spanien stehe kurz vor dem Bürgerkrieg.

Dazu tragen freilich auch Äußerungen wie die des katalanischen
Innenministers Felip Puig bei, der schon mal provisorisch verkündet
hatte, die katalanische Polizei werde der Landesregierung im Falle
einer "Auseinandersetzung mit Madrid" zur Seite stehen. "Das ist ein
gefährliches Spiel mit dem Feuer", warnte das konservative spanische
Medienhaus Vocento, das die Tageszeitung "ABC" herausgibt. Ähnlich
urteilen auch mehrheitlich die anderen Zeitungen des Landes.

Stimmungstest für Unabhängigkeit

Im Grunde geht es den Katalanen lediglich darum, das Terrain für eine
mögliche Unabhängigkeit zu sondieren. Auf diesem Gebiet beweist der
amtierende katalanische Ministerpräsident Artur Mas, der vorgezogene
Neuwahlen für den 25. November ausgerufen hat, großes Geschick. Der
gewiefte Stratege versucht ganz bewusst, den Zwist mit Madrid auf
internationale Ebene zu heben, gerade jetzt, wo amtlich wurde, dass
Schottland im Herbst 2014 ein Referendum zur Unabhängigkeit von
Großbritannien durchführen wird.

Das Ergebnis des Urnengangs in Katalonien soll als Gradmesser für die
Stärke der Unabhängigkeitsbewegung dienen. Kaum zu glauben, dass die
Autonomieverfechter in der bürgerlich-nationalistischen Convergència i
Unió (CiU) jahrzehntelang ein treuer und ausgesprochen verlässlicher
Bündnispartner der Zentralregierungen in Madrid waren, egal ob gerade
Sozialisten oder die Konservativen am Ruder waren.

Streit über Steuerautonomie

Es war ein handfester Finanzstreit, der für das derzeitige Zerwürfnis
zwischen Premier Mariano Rajoy und den Katalanen gesorgt hat. "Wir
hatten uns von Madrid viel mehr Verständnis erhofft", so der
katalanische Regierungssprecher Francesc Homs in einem Radiointerview
am Donnerstag. Katalonien ist mit einem Schuldenberg von 42 Milliarden
Euro die höchst verschuldete Region des Landes.

Aus Sicht der Katalanen ist dies hauptsächlich auf den Finanztransfer
zurückzuführen, mit dem man die strukturschwachen Regionen wie
Andalusien oder Extremadura alimentieren müsse. Daher bestand Mas bei
einem seiner letzten Treffen mit Rajoy auf einer Steuerautonomie, wie
man sie im Baskenland und Navarra kennt. Die Forderung stieß auf taube
Ohren. "Mitten in der schweren Wirtschaftskrise ist nicht der
geeignete Zeitpunkt, um neue Fronten aufzureißen", so Rajoy. An eine
Neuverteilung der Lasten sei derzeit nicht zu denken.

Prompt holte Mas die Unabhängigkeitskeule heraus, hatten doch die
Krise und Rajos Sparpolitik die antispanische Gesinnung im Osten des
Landes in den letzten Monaten erstarken lassen. Anfang September, zum
Nationalfeiertag, gingen 1,5 Millionen Katalanen auf die Straße und
hissten die Nationalflagge. Noch nie hatten so viele Menschen
gleichzeitig für die Unabhängigkeit demonstriert.

Einer Erhebung des katalanischen Meinungsforschungsinstituts Centre
d'Estudis d'Opinio zufolge ist erstmalig eine knappe Mehrheit, 51,1
Prozent der Bürger, für eine Loslösung von Madrid.

König Juan Carlos spricht von "Hirngespinsten"

Die Zentralregierung hat derweil mehrmals klar gemacht, dass sie mit
allen legalen Mitteln einen Volksentscheid verhindern wird. Sie beruft
sich dabei auf die spanische Verfassung, die keine Mechanismen für
eine mögliche Abspaltung bereithält. Die meisten Spanier sind der
Auffassung, dass Katalonien ein fester Bestandteil des spanischen
Staats ist und bleiben soll. Sogar der sonst eher zurückhaltende
spanische König Juan Carlos hat die Unabhängigkeitsbestrebungen als
"Hirngespinste" bezeichnet.

Dennoch wirkt Rajoy, der die Entwicklung als "kolossalen Irrtum"
bezeichnet, in seinem Krisenmanagement hilflos, zumal auch im
Baskenland der Wunsch nach Selbstbestimmung immer stärker wird. In
einem letzten Appell an den Gemeinsinn bat er die Katalanen inständig
darum, einzulenken. Der eingeschlagene Weg verstärke nur die Zweifel
der internationalen Finanzmärkte an Spanien und brächte den heimischen
Familien und den Unternehmen nur noch größeres Elend.

Sehr viel härter ging Ex-Premier José María Aznar mit den Separatisten
ins Gericht. Sie bedrohten den Staat, indem sie einen angeblichen
Konflikt internationalisierten, so der einstige Regierungschef bei
einer Preisverleihung in seiner konservativen Stiftung FAES. "Spanien
wird nicht zerbrechen", so Aznar. Katalonien hatte vor wenigen Jahren
schon einmal den Weg in die Selbstständigkeit versucht und einen
Autonomiestatut verabschiedet, mit dem die Rechte der Regionen
ausgebaut werden sollten.

Eine Reihe der Klauseln, darunter auch der Begriff "Nation" wurden
jedoch vom Madrider Verfassungsgericht im Jahr 2010 kassiert. Dabei
hat es schon einmal einen katalanischen Staat gegeben, das war 1934,
allerdings nur für kurze Zeit. Damals ließ die Regierung in Madrid das
Kriegsrecht im selbst ernannten Staat verhängen und seine
Regierungsmannschaft, darunter Regierungspräsident Lluis Compays
verhaften. Das Abenteuer kostete 46 Menschen das Leben, Companys wurde
sechs Jahre später von einem franquistischen Gericht zu Tode
verurteilt und hingerichtet.

http://www.welt.de/politik/ausland/article110254899/Hilferuf-Katalonien-fuerchtet-Einmarsch-Madrids.html

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