Salzburger Nachrichten: 'Katalonien: Auf dem Weg zum eigenen Staat'

Katalonien will am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängigkeit von Spanien durchführen. Der Präsident der Region, Carles Puigdemont, glaubt fest an einen Sieg.

In drei Monaten möchte das offizielle Katalonien unabhängig sein. Wie geht es Ihnen dabei jetzt?
Carles Puigdemont: Wenn das katalanische Volk am 1. Oktober beschließt, dass wir unabhängig werden, dann werden wir von der ersten Minute an als Staat handeln. Es wird zunächst ein Übergang beginnen, bis es tatsächlich die volle internationale Anerkennung der Unabhängigkeit Kataloniens gibt.

- Gehen Sie von einer Mehrheit für die Unabhängigkeit aus?

Ich bin überzeugt, ja. Die Mehrheit jener, die schon jetzt wissen, dass sie an der Abstimmung teilnehmen, wird auch mit Ja stimmen. Das sagen alle Umfragen.

- Kritiker in Madrid präsentieren Studien, wonach die Unabhängigkeitsbewegung keine Mehrheit bekommen wird.

Das werden wir sehen. Wir sind auch bereit, ein Votum gegen die Unabhängigkeit zu akzeptieren. Die Frage ist, ob Spanien bereit ist, ein Votum für die Unabhängigkeit zu akzeptieren.

- Katalonien hat als autonome Region viele Rechte, von denen andere träumen. Warum wollen Sie da noch die Unabhängigkeit?

Auf dem Papier sieht Katalonien vielleicht wie eine Region mit viel Autonomie aus. Aber in der Praxis haben wir nur zehn Prozent von dem, was auf dem Papier steht. Wir werden vom Recht, uns selbst zu regieren, praktisch enteignet. Wir haben keine wirtschaftliche Autonomie. Das Verfassungsgericht, das aus Mitgliedern der Partido Popular besteht, annulliert die meisten unserer Gesetze. Wir haben nicht einmal eine Dezentralisierung der Verwaltung. Wenn wir nicht die Mittel eines Staates zur Verfügung haben, verfallen wir in die Dekadenz.

- Was erwarten Sie in dieser Situation von der EU?

Bis zur Abstimmung wird Brüssel sagen, dass das eine interne Angelegenheit Spaniens ist. Und die Kommission wird sich nicht offiziell deklarieren, wenn es kein Mitgliedsstaat verlangt.

- Erwarten Sie denn eine offizielle Position der EU schon vor der Abstimmung?

Wenn die EU Stellung nimmt, was in Katalonien oder Schottland geschehen kann, würde das allen zugutekommen. Und es würde beweisen, dass die These des spanischen Staates nicht stimmt, dass ein Gebiet, das bereits EU-Mitglied ist und alle Voraussetzungen erfüllt, automatisch ausgeschlossen würde. Ich kann mir schon vorstellen, dass nicht alle Staaten mit einer internen Erweiterung glücklich wären. Die Bürger Kataloniens möchten aber, auch wenn sie am 1. Oktober mit Ja zur Unabhängigkeit stimmen, weiterhin Mitglieder in der EU bleiben. Wir haben 7,5 Millionen Einwohner, die nicht aufhören werden, EU-Staatsbürger zu sein. Es gibt nur ein Szenario, in dem das anders wäre. Das wäre, wenn Spanien Katalonien als unabhängigen Staat anerkennen würde, aber keine doppelte Staatsbürgerschaft zuließe.

- Dann müsste Katalonien erst um eine neue Mitgliedschaft ansuchen. Und das würde viele Jahre dauern.

Das wäre widersinnig. Es muss doch im Interesse der EU und Spaniens liegen, dass wir Mitglied bleiben. Katalonien ist Nettobeitragszahler, das ist doch vor allem im Interesse anderer Nettozahler, dass ein starkes Land wie Katalonien auch EU-Mitglied ist.

- Es gibt Studien, wonach viele Unternehmen im Falle der Unabhängigkeit Barcelona verlassen und nach Madrid gehen würden.

Der Prozess hin zur Unabhängigkeit schreckt die Investoren aus dem Ausland nicht ab. Wir stellen einen Rekord nach dem anderen auf. Mehr als 30 Prozent der Auslandsinvestitionen in Spanien gehen direkt nach Katalonien. Dabei sind wir 16 Prozent der Bevölkerung und stellen 20 Prozent des spanischen BIP. Die katalanischen Firmen exportieren mehr denn je zuvor. Ein unabhängiges Katalonien wäre wirtschaftlich auf jeden Fall überlebensfähig. Es ist ein sehr attraktives Gebiet.

- Was müsste Spanien anbieten, damit Sie doch noch auf das Referendum verzichten?

Katalanische Vorschläge hat es dazu schon viele gegeben. Doch das von allen Parlamenten und von der Regierung beschlossene Autonomiestatut wurde vom Verfassungsgericht zurechtgestutzt. Die Frage ist jetzt: Hat Spanien einen Vorschlag für Katalonien? Nein.

- Aber der kann ja noch kommen?

Nichts ist unmöglich. Aber bisher hat der Staat keinen einzigen Schritt gesetzt.

- Gehen Sie davon aus, dass die Regierung in Madrid das Referendum nur verbieten oder auch verhindern will?

Die Regierung von Madrid hat gesagt, sie will beides machen. Aber sie haben nicht erklärt, wie sie das tun wollen. Wir haben ein Parlament, das mehrheitlich die Abstimmung über die Unabhängigkeit möchte, genauso wie die Regierung. Das ist demokratisch legitimiert. Was also soll Madrid machen?

- Zum Beispiel einen Polizisten vor jedes Abstimmungslokal stellen und die Leute nicht reinlassen.

Wenn sie das machen, dann haben sie schon verloren. Die Leute würden trotzdem wählen. Es ist ein Kampf zwischen Demokraten und Kräften, die nicht wollen, dass wir unser Recht auf Selbstbestimmung ausüben. Die einzige Möglichkeit für Spanien, die Unabhängigkeit Kataloniens noch zu verhindern, ist, einen für die Bürger noch besseren Vorschlag zu machen.

- Haben Sie keine Angst, dass Sie wegen politischen Ungehorsams und Verfassungsbruchs abgelöst oder gar eingesperrt werden?

Angst? Nein. Wir sind uns der Risiken bewusst. Die Amtsenthebung berührt mich nicht, denn ich fühle mich von den Menschen bestellt. Was mich besorgt, ist, dass der spanische Staat seine Macht missbraucht und über die Grenzen eines Rechtsstaats hinausginge. Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit sind vom spanischen Staat anerkannte Grundrechte. Wir werden darauf nicht verzichten. Das Szenario, dass ich eingesperrt werden könnte, gefällt mir natürlich nicht. Aber ich erwarte, dass Madrid demokratisch reif ist.

- Wie erklären Sie die politische Zurückhaltung vieler Staaten in der Katalonien-Frage? Fürchten da manche einen Dominoeffekt?

Alle Fälle sind unterschiedlich, Schottland, Flandern. Es hat immer wieder Unabhängigkeitsprozesse gegeben. Und es wird weitere geben. Die Staatsstrukturen sind nicht gottgegeben. Das ist eine menschliche Konvention. In einigen Jahren kann der Schirm-Staat auch Europa heißen. Viele Menschen möchten die Themen Steuern oder Sicherheit stärker und besser in Europa koordiniert haben.

- Wie sieht Ihr Verhältnis zu Österreich aus?

Alle Katalanen sind noch heute darauf stolz, dass wir im Spanischen Erbfolgekrieg Erzherzog Karl VI. unterstützt haben. Die Art und Weise, wie die Habsburger Spanien verwaltet haben, war uns viel näher als die der Bourbonen. Der Gedanke der Konföderation, der Gedanke der Einhaltung der historischen Rechte der Katalanen lag den Habsburgern näher. Doch der Krieg ging verloren und damit auch unsere Rechte, die Sprache, die Universitäten. Wir spüren auch heute eine große Bewunderung für die mitteleuropäischen Länder.

- Gehen Sie davon aus, dass Österreich einen neuen Staat Katalonien anerkennen würde?

Die österreichische Regierung hat so wie andere europäische Regierungen eine große Kenntnis der Lage in Katalonien. Wenn wir an die Tür klopfen und vorlegen, dass eine Mehrheit für die Unabhängigkeit ist, dann werden die Staaten, die an der Wurzel der europäischen Werte liegen, uns gegenüber nicht feindlich sein.

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